Cerviden, Cervidae (Geweihträger)
Hirsche oder Geweihträger |
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Lateinischer Name |
Cervidae, Goldfuss 1820) |
Stamm |
Chordatiere (Chordata) |
Überklasse |
Kiefermäuler (Gnathostomata) |
Klasse |
Säugetiere (Mammalia, Linnæus 1758) |
Überordnung |
Laurasiatheria (Waddell, Okada & Hasegawa, 1999) |
ohne Rang |
Stirnwaffenträger (Pecora, Flower 1883) |
Allgemeines und Merkmale |
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Wissenswertes |
Die Familie der Geweihträger umfasst mehr als 50 Arten, von denen unter anderem der Rothirsch, der Damhirsch, das Reh, das Ren und der Elch auch in Europa verbreitet sind. Darüber hinaus kommen Hirsche in Asien, Nord- und Südamerika und mit einem Vertreter in Afrika vor. Markantestes Kennzeichen der Hirsche sind die an Gestalt variantenreichen, meist nur von den Männchen getragenen Geweihe, die jährlich abgeworfen und neu gebildet werden. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass sich die Hirsche auf anatomischen Weg in zwei große Gruppen einteilen lassen, wovon eine mehr oder weniger auf Eurasien, die andere auf Amerika beschränkt ist. In jüngerer Zeit konnte durch molekulargenetische Analysen diese Zweiteilung untermauert werden. Das gemeinsame Merkmal aller Hirsche ist das Fehlen der Gallenblase und die Ausbildung eines Geweihs, das jährlich erneuert wird. Sie werden heute in zwei Unterfamilien mit insgesamt fünf Triben unterteilt, die sich unter anderem in der Anordnung der reduzierten Zehen, im Geweih und in Details des Schädelbaues unterscheiden. · Die Unterfamilie der Cervinae umfasst dabei die Cervini (Echte Hirsche) und die Muntiacini (Muntjakhirsche), beide Gruppen sind durch die „plesiometacarpale“ Zehenstellung charakterisiert. · Die zweite Unterfamilie, die Capreolinae, setzt sich aus den Capreolini, den Alceini den Rangiferini und den Odocoileini (Eigentliche Trughirsche) zusammen und entspricht der „Telemetacarpalia“-Gruppe. Die Aufspaltung der Hirsche in die beiden Unterfamilien erfolgte laut molekulargenetischen Studien erst im Oberen Miozän vor rund 9 Millionen Jahren. |
Körperbau |
Die Größe der Hirsche variiert erheblich: die Kopf-Rumpf-Länge schwankt zwischen 70 und 310 cm, die Schulterhöhe zwischen 30 und 190 cm und das Gewicht zwischen 5,5 und 770 kg. Der kleinste lebende Vertreter ist der Südpudu (Pudu puda), der größte der Elch (Alces alces). Bei den meisten Arten mit Ausnahme des Muntjak (Muntiacus muntjak) herrscht ein Geschlechtsdimorphismus hinsichtlich der Größe vor. Dabei sind beim Tenasserim-Muntjak (Muntiacus feae) oder beim Wasserreh (Hydropotes inermis) die Weibchen zumeist größer als die Männchen, bei allen anderen Vertretern wird das Männchen deutlich größer und schwerer als das Weibchen.
Bei beiden Körperbautypen ist der Schwanz eher stummelartig kurz. Das Fell besitzt bei den Waldbewohnern überwiegend eine tarnende braune oder graue Färbung, bei einigen Arten offenerer Landschaften wie dem Prinz-Alfred-Hirsch (Rusa alfredi) oder dem Axishirsch (Axis axis) hat sich ein gepunktetes Fellkleid herausgebildet, ansonsten treten häufig Akzentuierungen des Kopfes und des Hinterteils auf. Der Kopf ist in der Regel langgestreckt, die Ohren sind groß und aufgerichtet. |
Geweih |
Kennzeichnend für Hirsche ist das Geweih, das aus zapfenförmigen Knochengebilden („Rosenstöcken“) am Stirnbein (Os frontale) wächst. Das Geweih besteht aus Knochensubstanz, den größten Anteil bildet dabei Hydroxylapatit, ein kristallisiertes Kalziumphosphat, das gut 30 % des Geweihs ausmacht. Das Geweih wird jedes Jahr nach der Paarungszeit abgeworfen und anschließend neu gebildet. Der Abwurf des Geweihs ist mit dem Absinken des Testosteronspiegels verbunden, wodurch kurzfristig Osteoklaste aktiviert werden, die den Knochen am „Rosenstock“ auflösen. Die anschließende Verheilung der Wunde ist wohl der Auslöser des nächsten Geweihwachstums. Zwischen Abwurf und Neubildung liegt bei den meisten Hirschen ein zeitlicher Abstand von einem bis zwei Monaten, bei den Echten Hirschen kann dies unmittelbar aufeinander folgen. Bei Arten mit fester Paarungszeit fällt dieses Abwerfen in eine bestimmte Jahreszeit (beim Reh und beim männlichen Rentier in den Spätherbst, beim weiblichen Rentier und den anderen europäischen Arten in den Spätwinter oder Frühling); bei Arten in tropischen Regionen gibt es keinen festen Zeitpunkt hierfür. Die Bildung des Geweihs setzt bereits im juvenilen Stadium ein und beginnt bei den Trughirschen und den Muntjakhirschen im ersten Lebensjahr, bei den Echten Hirschen ab dem zweiten Lebensjahr. Dabei bilden sich zuerst kleinere Spieße, die komplexen Geweihstrukturen entstehen mit dem zunehmenden Lebensalter. |
Der Schädel besitzt allgemein einen langschmalen Bau. Der Tränen-Nasen-Gang (Ductus nasolacrimalis) ist gegabelt, am Vorderrand der Augenhöhle (Orbita) liegen zwei Tränenlöcher (Foramina lacrimalia). Die oberen Schneidezähne fehlen stets, im Unterkiefer sind pro Kieferhälfte drei vorhanden. Der obere Eckzahn ist bei Arten mit fehlendem oder kleinem Geweih (Wasserrehe, Muntjaks) vergrößert und ragt hauerartig aus dem Maul, bei den übrigen Arten ist er verkleinert oder fehlt ganz. Der untere Eckzahn ähnelt den Schneidezähnen und bildet mit diesen eine geschlossene Reihe. Pro Kieferhälfte sind drei Prämolaren und drei Molaren vorhanden, die eher niederkronig sind (brachyodont). Auf der Kauoberfläche ist hier ein mondsichelartiges, längsverlaufendes Schmelzmuster ausgebildet (selenodont). Es sind 32 bis 34 Zähne ausgebildet. Der Unterkiefer ist sehr kräftig und besitzt einen breiten Winkelfortsatz als Ansatzstelle für die Kaumuskulatur. |
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Vorderbeine |
Anatomische Ausbildung der Vorderbeine bei „Telemetacarpalia“ (links) und „Plesiometacarpalia“ (rechts) |
Verbreitung |
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Hirsche umfasst weite Teile Eurasiens und Amerikas, ihre höchste Vielfalt erreichen sie in Südamerika und Südostasien. In Afrika kommen sie nur im nordwestlichen Teil vor, in den Gebieten südlich der Sahara fehlen sie und werden dort durch die Hornträger ersetzt. |
Lebensweise |
Hirsche sind standorttreu oder wandern regelmäßig. Strikt waldbewohnende Arten wie die Pudus, Mazamas oder der Schopfhirsch sind Einzelgänger und leben meist versteckt im Walddickicht. Fressfeinden entgehen sie durch schnelle Flucht mit weiten Sprüngen, was ihre oft stärkeren Hinterbeine ermöglichen. Die Tiere leben in Aktionsräumen, die beim Südlichen Pudu (Pudu puda) zwischen 15 und 20 ha, bei der Großmazama (Mazama americana) oder beim Chinesischen Muntjak (Muntiacus reevesi) bis zu 100 ha groß sein können. Die Reviere werden teils territorial verteidigt, zur Kommunikation mit Artgenossen und zur Markierung der Grenzen der Territorien kommen Sekrete der Drüsen am Kopf sowie an den Füßen und auch Urin zum Einsatz, die Lautverständigung ist meist minimiert. Die Territorialität kann bei schlechten Nahrungsbedingungen auch eingeschränkt sein und ist dann auf Dominanz reduziert. Paarbildungen treten nur während der Paarungszeit auf oder finden sich in Mutter-Jungtier-Gruppen. Bei einigen Arten gibt es auch eine nur zeitweilige Territorialität, die sich auf die Fortpflanzungsphase beschränkt, etwa beim Reh (Capreolus capreolus). |
Ernährung |
Hirsche sind allgemein Pflanzenfresser, deshalb nimmt die Nahrungsaufnahme einen großen Teil des Tagespensums in Anspruch. Die Tiere fressen phasenweise, wobei ein Tag je nach Größe des Magens zwischen fünf und elf Fressphasen aufweist. Dazwischen befinden sich ausgedehnte Ruhezeiten, in der die Nahrung verdaut und wiedergekäut wird. Die Tiere ernähren sich von unterschiedlichen Pflanzenteilen wie Blättern, Rinde, Knospen und Zweigen, aber auch von Früchten und seltener von Gräsern. Sie sind sehr anpassungsfähig, im Vergleich zu den Hornträgern bevorzugen sie aber generell eher weichere Pflanzennahrung, was auch durch die durchschnittlich niedrigeren Zahnkronen und somit eher brachyodonten Zähne angezeigt wird. Dadurch gibt es innerhalb der Hirsche keine wirklichen Grasfresser wie bei den Hornträgern, wodurch kein Vertreter an extrem trockene Landschaften angepasst ist. Eine rein grasfressende Ernährungsweise ist auch durch die Geweihbildung möglich, da Gräser sehr energiearm sind und zu wenige Mineralien enthalten, die für den Aufbau der vor allem größeren und schwereren Geweihe unabdingbar sind. Die Bewohner geschlossener Wälder mit noch relativ urtümlichen Körperbau wie die Muntjaks, Pudus und Rehe ernähren sich hauptsächlich von Blättern (browser), einige der Mazamaarten stellen Früchtefresser dar, wie es auch für die frühesten Formen der Hirsche und ihrer Vorfahren teilweise nachgewiesen ist. Der Anteil der Früchte kann dabei zwei Drittel der aufgenommenen Nahrungsmenge überschreiten. Die Blattfresser sind dabei eher opportunistisch und vertilgen eine große Vielfalt an Pflanzen, in der Regel aber nur die am leichtesten verdaulichen Pflanzenteile. Auf der anderen Seite stehen die Zackenhirsche, das Ren oder einige Edelhirsche wie der Wapiti und der Weißlippenhirsch, die zu einer grasfressenden Lebensweise tendieren (grazer). Allerdings nehmen auch diese zu einem gewissen Teil weichere Nahrung wie Wasserpflanzen, Kräuter oder Flechten zu sich. Der überwiegende Teil der Arten frisst eine gemischte Pflanzennahrung (mixed feeder) und kann so je nach Gegebenheit und teilweise jahreszeitlicher Verfügbarkeit weiche und harte Pflanzen verspeisen. |
Fortpflanzung |
In tropischen Regionen kann die Paarung das ganze Jahr über erfolgen, in den gemäßigten Regionen findet diese meist im Herbst oder Winter statt. Der Sexualzyklus variiert von 11 Tagen bei den Pudus bis zu 29 Tagen beim Axishirsch. Die weiblichen Tiere sind meist nur kurze Zeit empfangsbereit, die etwa 12 bis 24 Stunden dauert. Als zumeist polyöstrische Tiere findet der Eisprung zyklisch statt, bis die Befruchtung erfolgt. Eine Ausnahme bildet das Reh, bei dem die Paarung im Sommer (Juli/August) stattfindet, während der die Weibchen maximal 36 Stunden empfangsbereit sind; dabei unternehmen diese häufig ausschweifende Wanderungen weit ab von ihren Aktionsräumen, um die Möglichkeit der Paarung zu erhöhen. Die Tragzeit beträgt bei den Hirschen üblicherweise sechs bis neun Monate, auch hier stellt das Reh eine Ausnahme dar, da durch eine Keimruhe das Austragen des Nachwuchses auf zehn Monate verlängert wird. Die Wurfgröße liegt meist bei einem Jungen, nur bei den Trughirschen kommen zwei bis maximal fünf Jungtiere zur Welt. Diese sind Nestflüchter und tragen in der Regel ein geflecktes Fellkleid. Die Aufzucht wird meist vom Muttertier übernommen. Die Männchen kleinerer Arten sind nur selten polygyn. Während der Fortpflanzungsphase bilden sie mit einem oder zwei Weibchen temporäre Paare, die nur zwei oder drei Tage zusammenbleiben. Bei stark polygynen Arten gibt es verschiedene Fortpflanzungsstrategien. So dringen die Männchen in die Territorien der Weibchen ein und machen in Form von Markierungen mit Duftsekreten oder starken Vokalisierungen mit sich wiederholenden lauten Brunftschreien auf sich aufmerksam. Andere bilden Harems und verteidigen diese gegen Konkurrenten („Platzhirsch“), führen Dominanzkämpfe in gemischten Gruppen oder kämpfen auf Balzplätzen um das Paarungsvorrecht. Dabei können innerhalb einer Art unterschiedliche Strategien vorkommen, etwa beim Damhirsch oder beim Rothirsch, die ihr Verhalten der gegebenen Situation anpassen und befähigt sind, ihr Muster innerhalb eines Tages zu variieren. Die Kämpfe der Männchen werden mit den hauerartigen Eckzähnen oder dem Geweih ausgetragen. Sie sind ritualisiert und folgen einer vorgegebenen Choreographie, die bei geweihtragenden Tieren das Absenken des Kopfes mit anschließendem Verhaken der Geweihe und gegenseitigem Umkreisen beinhaltet. Beim Sambar sind auch Kollisionskämpfe ähnlich den Steinböcken bekannt. In der Regel vermeiden die Tiere schwere Verletzungen. In stark dimorphen Arten ist das Paarungsrecht durch die Kämpfe meist den größeren und stärkeren Männchen vorbehalten, beim Damhirsch decken so 3 % der Männchen durchschnittlich drei Viertel der empfangsbereiten Weibchen. |
Literatur |
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